London – In den kommenden zwölf Monaten könnten in Großbritannien wegen des Lockdowns in der Coronakrise Forschern zufolge rund 20 Prozent mehr neu diagnostizierte Krebspatienten sterben als sonst in diesem Zeitraum. Zu diesem Schätzwert kommen die Wissenschaftler wegen der stark zurückgegangenen Aktivitäten bei der Diagnostik und Behandlung von Krebserkrankungen.
Die Analyse von Daten aus wichtigen Krebszentren in Großbritannien ergab demnach, dass die Zahl der Dringlichkeitsüberweisungen mit Verdacht auf Krebs von Hausärzten um 76 Prozent zurückging. Die Zahl der Chemotherapietermine schrumpfte um 60 Prozent im Vergleich zu dem Niveau vor der Pandemie.
Der Analyse zufolge starben vor COVID-19 rund 31.000 Menschen in Großbritannien mit neu diagnostiziertem Krebs binnen eines Jahres. Infolge der zurückgegangenen Diagnostik und Behandlung könnten es nun gut 6.000 mehr werden, wird in der Analyse unter Beteiligung des University College London (UCL) und der Forschungsstelle zu Behandlungsdaten für Krebspatienten DATA-CAN geschätzt. Beziehe man alle derzeit mit Krebs lebenden Menschen ein, könne die Zahl zusätzlicher Todesfälle auf etwa 18.000 steigen.
Die Ergebnisse zeigten, welch „erhebliches Potenzial für unbeabsichtigte Folgen“ die Reaktion auf die COVID-19-Pandemie habe, sagte die führende Autorin der Studie, Alvina Lai vom Institut für Gesundheitsinformatik des UCL. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus könnten sich negativ auf Patienten mit Krebs und anderen Erkrankungen auswirken. Es sei entscheidend, dass diese Patienten als Risikogruppe erkannt und entsprechend behandelt würden, so Lai.
Auch in Deutschland haben Ärzte und Wissenschaftler vor einer „Bugwelle an zu spät diagnostizierten Krebsfällen“ gewarnt. Bislang mussten Krebspatienten im Regelfall keine bedrohlichen Versorgungsengpässe befürchten, doch Einschränkungen durch die Krisensituation seien spürbar, teilten kürzlich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft mit. Ob die Zahl der Krebsfälle dadurch steigen könnte, ließen die Experten zunächst offen. © dpa/aerzteblatt.de
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